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Arbeitszeugnisse => Arbeitszeugnisse => Thema gestartet von: Gast am Juli 11, 2005, 00:31:48 Vormittag

Titel: Zeugnis
Beitrag von: Gast am Juli 11, 2005, 00:31:48 Vormittag
Sehr geehrter Herr Schiller,

ich bin gerade dabei meine Ausbildung zu beenden und habe bereits einen Vorschlag für mein Ausbildungs-Zeugnis erhalten.

Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einige der Formulierungen daraus deuten bzw. meine Zweifel daran bestätigen oder aus dem Weg räumen könnten.

- Frau X verfügt über ein solides und umfangreiches Fachwissen, insbesondere im Umgang mit ....
--> reicht  „solides und umfangreiches“ aus, denn es steht nicht drin, wie erfolgreich es angewendet wurde und dass „insbesondere“ nochmal auf bestimmte Punkte eingegangen wird, klingt doch sehr einschränkend?

- Sowohl am Berufsschulunterricht, als auch am innerbetrieblichen Unterricht nahm Frau X regelmäßig teil.
--> das entspricht zwar der Wahrheit, ist aber selbstverständlich, wie soll ich das werten?

- Wir haben Frau X stets als ruhige engagierte, lernbereite und loyale Mitarbeiterin kennen gelernt, die sich schnell zu unserer vollen Zufriedenheit in unterschiedliche Aufgabenstellungen eingearbeitet hat
--> diese passive Beschreibung „haben...kennengelernt“ scheint mir auch sehr distanziert und negativ

- Frau X steht vor der erfolgreichen Abschlussprüfung ....
--> Wie kann man ein bevorstehendes Ereignis so bewerten? Was könnte dahinter stecken?

- ... und plant, ihre berufliche Qualifikation durch eine Verbreiterung ihres Tätigkeitsspektrums zu fördern.
--> was könnte das bedeuten?

- Bis zu ihrer Neuorientierung steht Frau X dankenswerterweise über das Ausbildungsende hinaus dem Unternehmen weiterhin zur Verfügung.
--> klingt mir etwas ironisch

- Wir bedanken uns für die erbrachten Leistungen und wünschen ihr für ihre weitere berufliche und persönliche Entwicklung alles Gute.
--> Der Abschlusssatz ist meiner Meinung nach Note 5, anhand dieses Satzes erkennt man doch erst die eigentliche Bewertung.
Was denken Sie?



Es fehlen Angaben zur Firma, das Verhalten gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Vorgesetzten. Wie wird das gewertet?
Außerdem steht fest, dass ich nach der Ausbildung nicht übernommen werde, optional aber noch befristet dableiben kann. Wie schreibt man das am besten in das Zeugnis?



Vielen Dank im Voraus!
Titel: Zeugnis
Beitrag von: Klaus Schiller am Juli 11, 2005, 20:26:03 Nachmittag
Frau X verfügt über ein solides und umfangreiches Fachwissen, insbesondere im Umgang mit ....
Frage: --> reicht „solides und umfangreiches“ aus, denn es steht nicht drin, wie erfolgreich es angewendet wurde und dass „insbesondere“ nochmal auf bestimmte Punkte eingegangen wird, klingt doch sehr einschränkend?
Antwort: Die Aussage bewertet das Wissen mit der Note 2. Es ist durchaus üblich, das Wissen zu spezifizieren.

- Sowohl am Berufsschulunterricht, als auch am innerbetrieblichen Unterricht nahm Frau X regelmäßig teil.
Frage: --> das entspricht zwar der Wahrheit, ist aber selbstverständlich, wie soll ich das werten?
Antwort: Dies ist eine übliche Aussage in AZUBI-Zeugnissen, sie gehört zur Lern- und Arbeitsweise (Note 2).

- Wir haben Frau X stets als ruhige engagierte, lernbereite und loyale Mitarbeiterin kennen gelernt, die sich schnell zu unserer vollen Zufriedenheit in unterschiedliche Aufgabenstellungen eingearbeitet hat
Frage: --> diese passive Beschreibung „haben...kennengelernt“ scheint mir auch sehr distanziert und negativ
Antwort: Das ist eine in mehrfacher Hinsicht unvorteilhafte Aussage. Zum einen vermischt sie Leistungs- und Verhaltensaussagen, die Verhaltensbewertung sollte aber erst nach der Leistungsbewertung beginnen. Die Formulierung  mit dem Grad der Zufriedenheit ist eigentlich die Leistungszusammenfassung, fasst also alle Einzelwertungen zu einer Gesamtnote zusammen ("Sie hat zu unserer vollen Zufriedenheit gelernt und gearbeitet"=Gesamtnote 3).  Hier bezieht sich die "volle Zufriedenheit" aber nur auf die Einarbeitung. Die Aussage "kennen gelernt" wird oft als Distanzierung gedeutet, siehe auch die Urteilsdatenbank in der Linkleiste, Stichwort "Formulierungen".

- Frau X steht vor der erfolgreichen Abschlussprüfung ....
Frage: --> Wie kann man ein bevorstehendes Ereignis so bewerten? Was könnte dahinter stecken?
Antwort: Die Aussage ist in der Tat unsinnig.  

- ... und plant, ihre berufliche Qualifikation durch eine Verbreiterung ihres Tätigkeitsspektrums zu fördern.
Frage: --> was könnte das bedeuten?
Antwort: Wenn damit gemeint ist, dass sie eine verantwortungsvollere Stelle übernehmen wollen, als man sie Ihnen im Unternehmen zu geben bereit ist und sie daher ausscheiden wollen, ist auch das eine eher unvorteilhafte Aussage.

- Bis zu ihrer Neuorientierung steht Frau X dankenswerterweise über das Ausbildungsende hinaus dem Unternehmen weiterhin zur Verfügung.
Frage: --> klingt mir etwas ironisch
Antwort: Die Aussage kann in der Tat ironisch gedeutet werden. Ihre Planungen sollten im Zeugnis gar nicht erwähnt werden, zumal bisher weder die Ausbildung abgeschlossen noch das Arbeitsverhältnis gekündigt wurde.  

- Wir bedanken uns für die erbrachten Leistungen und wünschen ihr für ihre weitere berufliche und persönliche Entwicklung alles Gute.
Frage: --> Der Abschlusssatz ist meiner Meinung nach Note 5, anhand dieses Satzes erkennt man doch erst die eigentliche Bewertung. Was denken Sie?
Antwort: Die Aussage „wir bedanken uns“ (statt „wird danken ihr/ihm“) wird in der Zeugnissprache generell eher abwertend verstanden. Diese Formulierung ist reflexiv („sich bedanken“) und beschreibt keine Interaktion. Anders verhält es sich bei der Aussage „wir danken ihr/ihm“, in der dem Gegenüber aktiv Dank entgegengebracht wird.

Frage: Es fehlen Angaben zur Firma, das Verhalten gegenüber Mitarbeitern, Kunden und Vorgesetzten. Wie wird das gewertet?
Antwort: Zitat: Das Arbeitszeugnis muß mit einem ordnungsgemäßen Briefkopf ausgestattet sein, aus dem der Name und die Anschrift des Ausstellers erkennbar sind. Ein Zeugnis ist nicht ordnungsgemäß ausgestellt, wenn es nur mit einem der Unterschrift beigefügten Firmenstempel versehen ist. - BAG 3.3.1993 - 5 AZR 182/92.
Fehlende Angaben zum Verhalten müssen als "beredtes Schweigen" gedeutet werden, Note mangelhaft, siehe auch http://www.arbeitszeugnis.de/zeugnismaengel.php

Frage: Außerdem steht fest, dass ich nach der Ausbildung nicht übernommen werde, optional aber noch befristet dableiben kann. Wie schreibt man das am besten in das Zeugnis?
Antwort: Das Ausbildungsverhältnis endet mit dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zum heutigen Tage. Sie wird anschließend aufgrund ihrer gezeigten (sehr) guten Leistungen als BEZEICHNUNG in ein bis zum DATUM befristetes Arbeitsverhältnis übernommen.