Und was ist die Konsequenz daraus?
Wie gesagt, es wirkt auf einen Betrachter schlicht unstimmig, wenn durchweg sehr gute Einzelnoten zu einer (nur) guten Gesamtnote zusammengefasst werden. Es stellt sich die Frage, welche Ursachen diese Abwertung bewirkt haben, wenn es denn nicht die Leistung war. Möglicherweise ein Streit im Zuge des Ausscheidens.
Noch eine Frage zum Abschluss: Woran erkennt man ein Gefälligkeitszeugnis? Wie kann man ein Gefälligkeitszeugnis von einem wahren "sehr-guten" Zeugnis unterschieden? Mir ist bewusst, dass es unangemessen wäre Einser-Zeugnisse generell für unglaubwürdig zu halten. Aber es muss doch etwas geben woran man diesen Unterschied erkennen kann.
Die Gründe für ein "zu" gutes Zeugnis sind vielfältig, z.B.:
(1)Man möchte sich von einem Mitarbeiter trennen, die Gründe reichen aber für eine Kündigung nicht aus. Bei den Verhandlungen über eine einvernehmliche Trennung mit Abfindungsregelung fordert der Arbeitnehmer ein positives Arbeitszeugnis. An diesem kostenfreien Zugeständnis möchte man die Trennung nicht scheitern lassen
(2)Der Aussteller ist konfliktscheu und will Ärger, Diskussionen Streit vermeiden, die ihm keinen Nutzen bringen
(3) Der Arbeitnehmer droht mit einer Klage. Der Arbeitgeber ändert das Zeugnis, weil er für einen unproduktiven Gerichtsstreit weder Zeit noch Kosten aufwenden will
(4) Ein Arbeitnehmer droht, in einem eventuellen Gerichtsstreit bestimmte Interna publik zu machen
(5) Dem Arbeitnehmer muss wegen Auftragsmangel oder zwecks Rationalisierung betriebsbedingt gekündigt werden Man ist der Ansicht, dass bei dieser Sachlage ein wohlwollendes Zeugnis das mindeste ist, was man für den Arbeitnehmer tun kann
(6) Der Arbeitgeber überbewertet die Wohlwollenspflicht, die in der Praxis bekannter ist als der Wahrheitsgrundsatz
Am Zeugnis selbst, wenn es professionell geschrieben ist, kann man diese Vorgänge meist nicht erkennen. Ein Blick auf alle Zeugnisse eines Bewerbers und seinen Werdegang (Karriere) in den einzelnen Unternehmen geben aber bereits ein einheitlicheres Bild ab. Am ehesten auffällig ist noch der Punkt 5. Wenn beispielsweise ein sehr kleiner Betrieb einen langjährigen Mitarbeiter aus konjunkturellen Gründen entlassen muss, wird er man ihm mit dem Zeugnis sicherlich keinen Stein in den Weg legen wollen.
Klaus Schiller, arbeitszeugnis.de